Donnerstag, 11. September 2014

Mann, hatte ich es gut!


Wenn ich an meine Kindheit zurückdenke, fällt mir als erstes "Garten" ein.
Wir sind sehr viel umgezogen und haben unter verschiedensten Bedingungen gelebt, aber ein Garten war fast immer dabei.
Und ich habe draußen gespielt. Auch in den Jahren ohne Garten. Sobald das Wetter es zuließ, hieß es für mich: Ab an die frische Luft!
Es wurden Buden gebaut, Grashüpfer gefangen, mit Kätzchen gekuschelt, Hühnerküken gefüttert, Schäfer mit ihren durchziehenden Schafherden beobachtet, in Bächen geplanscht (im März gerne auf Socken, damit die Gummistiefel nicht von innen nass wurden), Blindschleichen und Schnecken in Hosentaschen transportiert (bei deren Seelchen möchte ich mich heute ganz herzlich entschuldigen)...
Ins Haus kam ich nur zum Essen und zum Schlafen.
Als ich ca. 4 Jahre alt war, war mein Aktionsradius ca. 500m ums Haus. Garten, Straße, Haus meiner Freunde, Scheune und Tante Emma Laden eingeschlossen.
Es gab einen Pool (gehörte den Vermietern), eine Ausfallstraße, eine Sickergrube (normalerweise mit Steinplatte versiegelt) und ein angrenzendes Feld. Diese Dinge und der Gartenteil der Vermieter waren tabu. Alles andere durfte ich frei und alleine begehen.
Ich habe auf der Wiese ein Loch gegraben, weil ich unbedingt mal China sehen wollte (das für mich direkt auf der anderen Seite der Erdkugel liegen musste... also brauchte man nur tüchtig zu graben).
Meinen Mittagsschlaf habe ich auf dem Sofa gehalten - nie ohne mein (echtes!) Meerschweinchen Pipo, dass mir seinen Namen übrigens höchstpersönlich ins Ohr geflüstert hat.
Ich wollte nie essen - obwohl meine Mutter mir nur Speisen vorgesetzt hat, die ich hätte mögen müssen und war spindeldürr.
Ich habe keinen Kindergarten besucht.
Mit meiner Mutter habe ich im Spätsommer Brombeeren gesucht. Manchmal sind wir im Sommer ins Schwimmbad gegangen. Bei schlechtem Wetter hat sie mit mir gemalt, mir gezeigt wie ich die Puppenkleider waschen kann, etwas gebastelt oder mal ein Memory-Spiel gelegt.  Aber meist hat sie ihre Arbeit getan und ich die meine: Spielen eben.
Ich hatte es gut!
Die Kinder, die ich heute betreue, haben es auch gut - ohne Frage.
Sie besuchen einen wunderschönen Kindergarten mit herrlichem Außengelände, schönen, sinnvollen Spielzeugen und  haben liebe, verständnisvolle Erziehrinnen.
Trotzdem sehe, wie viel eingeschränkter sie heute leben müssen, an wie viele Gegebenheiten sie sich anpassen müssen, mit wie vielen Menschen sie kooperieren müssen. Und es fällt  mir leicht, einem kleinen Wüterich zu verzeihen, der mir, in seiner Not sich einfach nicht verständlich machen zu können,   die Ostheimer-Kuh an den Kopf wirft.
Oder der kleinen Madame, die mir triumphierend all montags erklärt: "Das esse ich nicht!" (Milchreis mit Zimtzucker) um sich dann freitags genüsslich eine ganze Schüssel davon einzuverleiben, wenn sie in der anderen Gruppe isst.
Ich kann verstehen, wenn Kinder "über die Stränge schlagen", damit sie die ungeteilte Aufmerksamkeit haben und auch, dass es sie frustriert, wenn sie einfach nicht machen können, was sie sich an "Arbeit" für diesen Tag vorgenommen haben.

Wir Erwachsenen haben Termine, Vorgaben, Zeitdruck, Hygieneregeln.
Wir müssen einkaufen, putzen, arbeiten.
Wir müssen es unseren Partnern, Freunden, Familie, Nachbarn rechtmachen.
Wir haben eigene Bedürfnisse, die schon immer viel zu kurz kommen.
Unsere Gesellschafft ist nicht geschaffen für Kinderherzen und Kindersinn.
Haben wir wenigstens ein wenig Verständniss, wenn ihnen unsere Art zu leben, nicht gefällt. 


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